Corona verlangt den Mut zur Lücke. Warum? Die Bildungsbiografien aller Schüler*innen der Jahre 2020 und 21 sind unvollständig. Doch statt darüber zu jammern, müssen wir umdenken, um diese Bildungslücken aufzufangen. Bildung ist nämlich nicht nur Lehrplanwissen!
Schüler*innen der ganzen Welt haben in diesem und letztem Schuljahr Unterricht verpasst
Pandemiebedingte Schulschließungen und Quarantäneanordnungen haben Schüler*innen weltweit ins Homeoffice verbannt. Das gilt natürlich auch für Sachsen-Anhalt. Und ja, zu Hause konnten die meisten, nicht so viel oder gut lernen wie in der Schule. Aktuell lernen viele Schüler*innen in halben Klassen oder die Schulen sind ganz dicht.
Wir müssen ehrlich sein
Wir können jetzt Schuldige für Versäumnisse beim Umgang mit Schulschließungen, Distanzunterricht etc. suchen. Doch das bringt aktuell nichts. Was etwas bringt, ist ehrlich zu sagen: “Keine Klasse in Sachsen-Anhalt hat in diesem Schuljahr den Lehrplan geschafft. Alle haben Schüler*innen coronabedingte Lücken.”
Diskussionen über Samstagsunterricht, Ferienakademien bringen wenig
Auch wird aktuell medienwirksam diskutiert, wie die Lücken in den Bildungsbiografien zu füllen sind. Da gibt es solch brillante Ideen wie:
- Unterricht am Samstag
- Ferienakademien
- Wochenendseminare
- Zusatzstunden am Nachmittag
Klingt leicht umsetzbar, aber welche Lehrkräfte sollen das leisten? Fast alle Schulen sind unterbesetzt. Zusätzlich Stunden zu geben, ist praktisch nicht möglich. Außerdem sind aktuell die Inzidenzen so hoch, dass fast alle Schulen geschlossen sind. Selbst wenn wir mit Wochenendseminaren jetzt sofort starten würden, würde es gar nichts bringen, weil niemand in die Schulen darf.
Aber es gibt coronabedingte Zusatzpunkte
Doch unsere Schüler*innen haben nicht nur Defizite durch Corona erfahren. Sie sind sicherer im Umgang mit digitaler Technik, Videokonferenz-Systemen und haben Ihre Fähigkeiten zum Selbststudium erweitert. Wir sollten also nicht nur auf die Defizite, sondern auch auf den Wissenszuwachs schauen.
Leider ist Deutschland bei der Bildung stur wie ein Esel
Doch auch wenn es die eben genannten Pluspunkte gibt, im lehrplanorientierten Bildungssystem von Deutschland werden diese Dinge nicht anerkannt. Nur was Bürokraten in ihren Stuben als Schulwissen abgesegnet haben, hat bei uns Relevanz.
Wir müssen lernen mit der Lücke zu leben
Wir müssen lernen mit der Lücke umzugehen und das Ziel haben, sie in den kommenden fünf Jahren zu füllen. Damit meine ich Kinder und Familien in Eigenregie, aber vor allem müssen die Lehrkräfte und das Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung Sachsen-Anhalt (LISA) aktiv werden.
Wie es funktionieren kann
Schulwissen baut aufeinander auf. Der Unterrichtsstoff, der in der 5. Klasse eingeführt wird, bildet die Basis für den Unterrichtsstoff der Klasse 6. Klasse 6 ist Basis für Klasse 7 usw. Sicher Unterrichtsstoff der Klasse 5 wird auch in Klasse 6 kurz wiederholt, aber er wird weder eingeführt oder noch geübt. Das passiert ja normalerweise schon im vorausgegangenen Schuljahr.
Wir Lehrkräfte müssen anerkennen, dass dies in den nächsten Schuljahren nicht so sein wird. Unsere Unterrichtsinhalte müssen wir so umarbeiten, dass eigentlich bekannter Stoff eben später vermittelt wird. Doch dafür müssen wir unsere Lehrinhalte entschlacken, denn wir können nicht den Stoff von zwei Schuljahren in einem Jahr vermitteln.
Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung Sachsen-Anhalt (LISA) muss uns Lehrer*innen unterstützen
Um dieses Entschlacken im Unterricht zu bewerkstelligen, brauchen wir die Unterstützung vom LISA. Gemeinsam müssen wir die Lehrpläne der kommenden 5 Schuljahre entschlacken. Lehrkräfte und LISA müssen schnell und verlässlich definieren, welche Lehrinhalte aus Zeitgründen wegfallen können. Das ist nicht einfach, aber notwendig.
Wir brauchen den Mut zur Lücke, denn wir haben keine Zeit, die Lücke zu füllen. Außerdem haben wir jetzt die Chance, unsere Lehrpläne einer Abspeckkur zu unterziehen. Die haben sie seit Langem eh nötig.