Alte Lehrbücher in Brennpunktschulen – so sieht keine Bildungsgerechtigkeit aus

In den Schulen von Sachsen-Anhalt werden Lehrbücher ausgeliehen oder von den Eltern gekauft. Viele Eltern und Schüler*innen nutzen den Leihservice, um Geld zu sparen und einige sicher auch, um Ressourcen zu schonen. Doch das Leihsystem hat einen Haken.

Der Haken – gut gemeinte Idee mit schlechten Folgen

Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht, das zeigt sich an meiner Schule. Die gehört zu den sogenannten Brennpunktschulen, was bedeutet, dass hier viele Kinder aus sozial schwachen und Migrantenfamilien sind. Und gerade deswegen führt das gut gemeinte Leihsystem für Lehrbücher bei uns an der Schule zu großer Ungleichheit.

Die Höhe der Leihgebühr ist von der häuslichen Situation abhängig

Normalerweise bezahlen die Eltern für Leihbücher 3 Euro pro Buch. Beziehen die Eltern Transferleistungen, also Harz IV, Arbeitslosengeld oder den Asylbewerberleistungssatz, oder gehen drei oder mehr ihrer Kinder an eine allgemeinbildende Schule, dann beträgt die Leihgebühr 1 Euro pro Leihbuch.

Die Theorie

Mit den eingenommenen Leihgebühren kauft die jeweilige Schule neue Lehrmittel. Wurde also beispielsweise ein Klassensatz Mathematikbücher Klasse 6 im Jahr 2017 angeschafft, dann sollte der 2022 oder spätestens 2023 durch das neuaufgelegte Mathematikbuch Klasse 6 erneuert werden. Klingt soweit nicht schlecht. Doch in der Praxis führt diese Leihgebühr-Einnahme-Rechnung zu einem Problem.

Die Realität

Schulen, die eine sozial gut durchmischte Schülerschaft haben, haben mit dem Modell kein Problem. Hier zahlt die eine Familie 1 Euro pro Leihbuch und die andere Familie 3 Euro pro Leihbuch. Alles in bester Ordnung.

Verhängnisvoll wird diese Regelung, wenn annähernd alle Familien unter die 1 Euro Leihgebühr fallen.

Ein Rechenbeispiel mit 450 Schüler*innen, die Leihbücher in den Fächern Ma, Deu, Eng, Phy, Eth ausleihen:

450 x 1 Euro x 5 Leihbücher = 2.250 Euro

450 x 3 Euro x 5 Leihbücher = 6.750 Euro

Jetzt sollte klar werden, was der Knackpunkt ist

Schulen, deren Klientel praktisch nur aus Eltern und Schüler*innen besteht, die ein Recht auf 1-Euro-Leihbücher haben, nehmen also wesentlich weniger Gebühren ein als „normale“ Schulen. Das bedeutet, diese Schulen müssen Unterrichtsmaterialien länger nutzen und arbeiten beispielsweise mit veralteten Büchern. Es ist nämlich kein Geld für Neuanschaffungen da.

Gerade dort, wo die Kinder bereits aufgrund ihrer sozialen Situation geringere Bildungschancen haben, werden sie also auch noch mit schlechteren Lehrmaterialien „bestraft“. Deshalb muss die Bildungspolitik in Sachsen-Anhalt endlich aufwachen und dieses für die Schulen ungerechte System ändern. Und ich meine nicht, dass die Eltern mehr zahlen sollen. Mir geht es darum, dass das Ministerium endlich einsieht, dass es Brennpunktschulen gibt, die eine höhere Förderung benötigen. Kein Staat der Welt kann es sich leisten, einfach einen Teil seiner Kinder durch das System fallen zu lassen.

Ich fordere, die Ungerechtigkeit abzuschaffen!

Comments

  1. Prof. Dr. Stephan Feller says:

    Denke auch hier wären Firmenpatenschaften zum Bücher-Sponsoring eine interessante Option. Schon mit relativ moderaten, regelmäßigen Spenden-Beträgen könnten auch Mittelständler positive Werbung für sich machen. Die Werbewirkung eines Sponsoren-Aufklebers sollte z.B. sehr effektiv ein, da die Bücher ja lange in der Regel genutzt werden.

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